Die griechische „Erfolgsgeschichte“ (mail aus Athen, vol. 3)

Seit 2006 beobachtet das griechische Volk glücklich, wie den verschiedenen Forderungen der Rechtsextremen- oder der Neonazi-Agenda einer nach der anderen zugestimmt wird. In unserer letzten Ausgabe haben wir versucht, die Spuren dieser „Erfolgsgeschichte“ während der letzten sieben nachzuverfolgen:

„Am Anfang stand die politische Entscheidung, das neue Geschichtslehrbuch für die 6. Klasse abzulehnen (2006), dann kam die Kampagne der Rechtsextremen gegen „illegalen Handel“ vom migrantischen Verkäufer_innen und ein, zwei Jahre später gab es den ersten Versuch einer … nationalen Befreiung eines Viertels (2008), in Form der Besetzung des Agios Panteleimonas Platz. Dies wurde immer wieder in verschiedenen anderen Teilen Athens versucht. Es war die Zeit ihres sozialen Experiments: „Volkskomitees“. Und dann die Kampagnen wegen der griechischen Nationalität für Migrant_innen – wieder erfolgreich! Dann, nach dem Hungerstreik von 200 Migrant_innen, war die Zeit des großen Pogroms im Mai 2011, die Abschaffung des Universitäts-Asyl und außerdem das Inkrafttreten einer Reihe von Maßnahmen die Migrant_innen untersagen, innerhalb des Landes zu reisen, ohne ihre Papiere beim Kauf von Boot-Tickets hervorzuzeigen. Dann trat ein Gesetz in Kraft, das das Tragen einer Kapuze als Verbrechen verfolgte. Ein weiteres Gesetz zwingt Krankenhausärzte dazu, die Polizei zu rufen, wenn sie Migrant_innen ohne Papiere untersuchen. Als dann die Krise kam, wurde all der Bullshit, den man sich vorher von den Rechtsextremen anhören musste, zum totalen Mainstream im öffentlichen Diskurs,z.B. Das Benzin oder Gas unter griechischem oder zypriotischem Seegebiet. Danach wurde Athens Indymedia sowie 15 besetzte Häuser überall im Land geschlossen. Und so wachten wir eines Tages auf, sieben Jahre später und die Ideologie der extremen Neoliberalen ist die offizielle Kommunikationsstrategie des Staats. […] Die Kampagnen haben funktioniert. Und das passiert, weil Griech_innen Neonazis mögen und weil deren Agenda komplett, konstant und öffentlich verbreitet wurde. All diese Erfolge waren den Verbindungen zwischen Neonazismus und sozialem Faschismus geschuldet.“

[«Greek History X: racism, the experience, the ‘2nd generation’ and its defamation’, June 2013]

In den letzten drei Monaten hat sich nicht viel geändert. Wir haben einen neuen Gesundheitsminister, der tatsächlich ein früherer Teleshopping-Verkäufer für rechtsextreme und antisemitische Bücher ist, wie jenes von Konstantinos Plevris, das dazu anregte, Auschwitz in gutem Zustand zu lassen, falls es in Zukunft benötigt wird… Es ist so nicht überraschend, dass Mr. Adonis Georgiadis, sobald er das Gesundheitsministerium übernahm, ein Gesetz verhängte, dass die Verfolgung hunderter von Sexarbeiter_innen – ob HIV-positiv oder nicht – in Griechenland ermöglichte.

Nicht weit weg, im Ministerium zum Bürgerschutz wurden zehn Transgenderfrauen in Thessaloniki verurteilt, sie werden ohne größeren Grund gefangen gehalten. Vor diesem Hintergrund findet eine ständige Aktivität statt, die die griechische Familie freudig genießt: Die ständigen „Selbstmorde“ oder Selbstmordversuche von Migrant_innen in Polizeistationen oder den Straflagern des Landes. Die weithin bekannten Vorfälle dieses heißen griechischen Sommers sind der Selbstmord eines 20jährigen Migranten von der Elfenbeinküste in der Polizeistation von Grevena (24.06.2013), der Selbstmord eines Migranten aus Pakistan in der Polizeistation von Servia-Kozani (12.07.2013), oder der Selbstmordversuch eines andere Migranten aus Afghanistan im Straflager in Korinth (24.08.2013).

Das Ende des Juli bezeichnete in der Gegend der Peloponese, im Norden Griechenlands, eine offene Zeit des Roma-Jagens. In Laconis, Mesinia und einigen anderen Orten stattete die Polizei aus der Umgebung und aus Athen Roma-Siedlungen spektakuläre Besuche ab. Weitere Siedlungen wurden evakuiert und bei anderen Gelegenheiten ging es ganz einfach darum, den Bewohner_innen Angst zu machen. Die massiven Anti-Roma-Einsätze dieses Sommers, die mit dem Anstieg von Kriminalität durch Roma begründet wurden, erinnerten uns an die Operation „Xenios Zeus“ aus dem letzten Jahr, mit der die Verfolgung der Migrant_innen des Landes begann.

Es braucht keine_n Politikwissenschaftler_in, um zu verstehen, dass es unverhältnismäßig wäre, diese großen sozialen und staatlichen Errungenschaften nur der Neonazi- und rechtsextremen Macht im Parlament oder der Gesellschaft zuzuschreiben. Überhaupt nicht! Die Neonazis bekamen ihre 7% bei den letzten landesweiten Wahlen und die andere rechtsextreme Partei „Unabhängige Griechen“ (ANEL), bekamen ebenfalls ihre 7%.

So bleibt also die Frage: Wie ist es möglich, dass in den letzten sieben Jahren so umfassend Forderungen aus der Neonazi-Agenda Wirklichkeit wurden, obwohl die Drecksäcke zusammen nur auf 14% kamen (bei den Wahlen 2012, während sie vorher gar nicht im Parlament vertreten waren)?

Gleichwohl müssen wir deutlich sagen: Es gibt gegen diese Entwicklungen nicht den geringsten Widerstand. Der Daumen des Mobs zeigt weiterhin nach oben für einen „ präsenteren, dynamischeren und griechischeren“ Staat. Der Fakt, dass die konservativ-liberale Bildungsministerin M. Giannakou-Koutsikou, die das neue Geschichtslehrbuch für die sechste Klasse einführen wollte, letztlich nicht mal ins Parlament gewählt wurde, während ein früherer „Verräter der Konservativen“ aber auch hyper-nationalistischer Mr. Antonis Samaras, es nicht nur schaffte, zum Vorsitzenden der konservativen Partei (Nea Dimokratiaa) gewählt zu werden sondern auch noch von der Hälfte des Wahlkörpers zum Premierminister gemacht wurde, ist ein klares Zeichen des sozialen Wandels in Griechenland. Ein anderes Zeichen, dass die griechische Erfolgsgeschichte nachvollziehbarer macht, ist, dass, obwohl die Neonazis ihre 7% verdient haben, die Anzahl der Bürger_innen, die Gewalt gegen Migrant_innen rechtfertigen auf 22% gestiegen ist, während die Zahl jener die sie einfach „nicht im Land haben“ möchten mehr als 80% der Bevölkerung beträgt. Gleichzeitig besinnt sich die Mehrheit der Oppositionspartei SYRIZA auf ihr eigenes rassistisch-nationalistisches Erbe. Menschen, die antinationalistische Ansichten teilten wurden zum Schweigen gebracht, während das sogenannte „Migranten-Problem“ ganz unten in der Liste der Prioritäten der Partei zu finden ist (und üblicherweise es unwichtigen Minderheiten der Vertreter_innen der Bewegung überlassen bleibt, sich darum zu kümmern) und, die Partei sich im August 2013 beeilt, ihre eigene „patriotische Fraktion“ zu bilden.

Wie auch immer und glücklicherweise passiert noch etwas anderen mit den Griech_innen, dass ihnen die Freude an ihren Erfolgsgeschichten versagt. Die Krise und die Diffamierungen, die mit ihr einhergehen. Die unglückliche Verkettung, dass ihnen scheinbar niemand dazu gratulieren möchte, dass sie ein Plus an Faschismus haben, obwohl das Land unter einem finanziellen Defizit leidet. Keinen müden Euro gibt es für all diese beispiellosen Angriffe auf alle, die diese Gesellschaft für „unwert“ erklärt. Nicht einmal eine freundliche Geste für dieses Zeigen enormer Initiative von antiziganistischer Hysterie auf Europa-Niveau. Nicht einmal die britischen Medien legen ein gutes Wort für Mr. Dendias, den Minister für der Schutz der Bürger ein, um dessen zweiten konsequenten August der Repression gegen Roma, Transmenschen und Migrant_innen.

Ist es überhaupt wert, das „Europäische Union“ zu nennen? Das ist es, was den Griech_innen momentan Sorgen bereitet. Ist es wert, ihr Land in dieser politischen Einheit zu lassen, wo sie ihre eigenen Errungenschaften nicht von dem höheren Level bewundern können, das ihre deutschen Kameraden in Anspruch nehmen? Unsererseits, als Menschen die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, wissen um diese kranken Sorgen und darum hoffen wir, dass sie sich an den Boden des Fasses gewöhnen. Wir können ohne jeden Zweifel 10 Millionen Gründe zu lächeln nennen, exakt so viele wie dieses gesegnete Land Bürger_innen hat.

Antifa Negative, 10.09.2013 (for FSK Hamburg)